Claudia Roth: Fluchtursachen angehen statt Symptome bekämpfen

04.11.2015
Claudia Roth: Fluchtursachen angehen statt Symptome bekämpfen
Claudia Roth sprach in Thannhausen zur aktuellen politischen Lage. Die anschließende Diskussionsrunde wurde von rechten Unruhestiftern gezielt als Bühne genutzt.
Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth zu Besuch in Thannhausen. Die Grünen-Politikerin hielt einen Vortrag zu der derzeit alle anderen Themen überlagernden Flüchtlingskrise.

Der aktuellen politischen Lage war es sicherlich geschuldet, dass der Thannhauser Pfarrsaal am vergangenen Mittwochabend fast komplett mit Menschen gefüllt war. Allerdings waren viele der fast 200 Zuhörer vermutlich auch deshalb gekommen, um eine der polarisierendsten Politikerinnen Deutschlands live zu hören. Claudia Roth, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, war auf Einladung der Grünen-Stadtratsfraktion sowie ihres Schulfreundes Günther Meindl nach Thannhausen gekommen, um über die aktuellen Entwicklungen der Flüchtlingssituation zu sprechen.
 
Alle gemeinsam an einem Strang ziehen
Musikalisch umrahmt von Robert Sittny am Klavier führte Günther Meindl durch den Abend. In Grußworten gaben sowohl Landratsstellvertreterin Monika Wiesmüller-Schwab, der Kreisvorsitzende der Grünen Maxi Deisenhofer, Bürgermeister Georg Schwarz sowie Grünen-Stadtrat Meinhard Veth einen Überblick über die aktuelle Lage. Alle waren sich einig, dass der momentane Flüchtlingszustrom nur mithilfe des Ehrenamts bewältigt werden könne. Speziell für Thannhausen gelte, dass die 86 derzeit dort lebenden Asylbewerber gut aufgenommen und von ehrenamtlichen Helfern tatkräftig unterstützt würden. Der Staat dürfe sich aber nicht aus der Verantwortung ziehen und stehe mit Sicherheit vor der größten Herausforderung seit der deutschen Wiedervereinigung vor 25 Jahren.
Claudia Roth ging in ihrem Statement ebenfalls auf die enormen Herausforderungen ein, vor denen derzeit Deutschland, Europa, aber auch die ganze Welt stünden. Europa müsse auch in einer schwierigen Zeit zusammenstehen, die europäische Idee wirke nur dann, wenn alle gemeinsam an Lösungen arbeiteten. Der Flüchtlingsstrom könne nicht allein von den Ländern an den europäischen Außengrenzen bewältigt werden, wobei seit einiger Zeit sichtbar sei, dass das „Dublin-System“, für das auch Deutschland gestimmt habe, eindeutig gescheitert sei und sich jetzt räche. Roth betonte, die Staatengemeinschaft habe eine humanitäre Schutzverantwortung gegenüber Menschen, die unter Lebensgefahr aus Kriegs- und Krisengebieten fliehen müssen. Eindrucksvoll und bewegend berichtete sie von ihren vielen Besuchen und Gesprächen in den Krisengebieten und Flüchtlingslagern im Nahen Osten, vor allem in Syrien, dem Libanon und Jordanien.
 
Auch unsere Wirtschaft und unser Konsum sind Fluchtursachen
Es gelte, die Krisenregionen zu stabilisieren, um den Menschen in ihrem Heimatland eine Perspektive bieten zu können. Einen Zaun um Bayern zu bauen, sei sicherlich keine Lösung und konterkariere die europäische Idee geradezu. Der Versuch, Fluchtbewegungen anhand von Grenzschutzmaßnahmen zu steuern, bekämpfe nur die Symptome, anstatt die Fluchtursachen anzugehen. „Niemand verlässt seine Heimat, wenn er dort eine Perspektive hat“, sagte Roth. Diese gelte es, wiederherzustellen. Als ersten Schritt müssten deshalb beispielsweise auch alle Waffenlieferungen in Krisengebiete, an Aggressoren und menschenverachtende Regime wie Saudi-Arabien oder Katar eingestellt werden.
Dabei seien nicht immer nur Krieg und Krisen Ursachen für die Flucht. „Unsere Wirtschaft und unser Konsum tragen auch dazu bei, dass Menschen in ihrem Land jeglicher Perspektive beraubt werden. Wenn wir Hühnerfüße als Abfallprodukt unserer Lebensmittelindustrie nach Afrika verschiffen, dann führt das dazu, dass dort landwirtschaftliche Strukturen zerstört werden.“ Handelspolitik müsse künftig auf Fairness und auf den neuen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen beruhen, statt ihnen wie bisher entgegenzulaufen.
 
Grundgesetz kann nicht per Volksentscheid außer Kraft gesetzt werden
Im Anschluss an ihren Vortrag stellte sich Roth auch den Fragen aus dem Publikum. Ein Zuhörer wünschte sich mehr direkte Demokratie in Form von Bürgerbegehren oder Volksentscheiden zur Asylpolitik. Über Grundrechte könne man nicht abstimmen und das Recht auf Asyl sei im Grundgesetz verankert, antwortete Roth. Dieses Grundgesetz könne nicht per Volksentscheid außer Kraft gesetzt werden. Allerdings brauche es klare Regelungen für die Zuwanderung in Form eines Einwanderungsgesetzes. CSU-Ortsvorsitzender Robert Schmid stellte die Frage, ob Deutschland mit seinem Sozialsystem nicht gerade besondere Anreize für Flüchtlinge schaffe, hierher zu kommen. Auch hier forderte Claudia Roth klare Regeln für die Zuwanderung.
Im Wesentlichen wurde die Fragerunde dann allerdings von rund 20 scheinbar auswärtigen Anhängern der NPD dominiert, was in einer unsachlich geführten und lautstarken Diskussion endete. Moderator Günther Meindl sagte, er sei froh, dass wohl neunzig Prozent der Gäste ein vernünftiges demokratisches Grundverständnis hätten. Der starke Beifall des Publikums bestätigte dies.
Von: Markus Landherr

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